Zu Gast bei Freunden

An diesem Freitag sind Peter und ich bei Harald und Angelika eingeladen. Das frisch gebackene Rentnerpärchen ist im September nach Valencia ausgewandert. Hier wollen die beiden ihren neuen Lebensabschnitt verbringen.

Wir haben die beiden vor ein paar Wochen in unserem Sprachkurs kennen gelernt und wurden heute zu ihnen nach Hause eingeladen. Neben uns beiden, haben sie noch Bernhard & Sylvia, ein weiteres deutsches Rentnerpärchen, das frisch ausgewandert ist und Bert, der bereits seit knapp 20 Jahren hier lebt, eingeladen.

Bert erzählte uns, dass er sich sehr über die Einladung der beiden gefreut hat, da es in Spanien durchaus selten sei, zu Leuten nach Hause eingeladen zu werden. Das habe ich nicht zum ersten Mal gehört und dennoch bin ich etwas verwundert, da doch von Spanier*innen immer gesagt wird, sie seien ein überaus gastfreundliches Volk. Muss man dieses gegenwärtige Meinungsbild also revidieren? Mein Spanischlehrer unterstützt die Aussage. Er hat einen Freund, den er bereits seit Jahren kennt und den er regelmäßig sieht, aber den er seitdem noch nie zuhause besucht hat. Hier sei es unüblich sein Heim zu zeigen und sein Hab & Gut zu präsentieren. „Man trifft sich auf der Straße, in Cafés oder Bars“, erzählt er.

Ist es also nun typisch Deutsch, Freunde & Bekannte nach Hause einzuladen, diese zu bekochen und ihnen zu zeigen was man hat? Sind also „die Deutschen“ die eigentlich gastfreundlicheren Menschen?

Ich lasse das mal so stehen. Bin aber nicht ganz überzeugt.

Ich selbst habe gegensätzliche Erfahrungen gemacht und wurde 2016 nach Vigo in eine spanische Familie eingeladen, die mich sehr herzlich und überaus gastfreundlich empfangen hat. Ich kannte die Familie vorher nicht. Ana war eine ehemalige Schulfreundin meiner Mama, die aber mit 18 Jahren zurück nach Spanien ging. Meine Mama und sie hatten sicher 30 Jahre keinen Kontakt mehr und haben sich erst bei Facebook wiedergefunden. Als ich die Reise nach Santiago de Compostela machte, wollte ich gern noch ein paar Tage am Meer verbringen und Mama fragte Ana, ob sie wüsste wo man in Vigo gut und preiswert übernachten könnte. Da bot sie mir direkt das ehemalige Zimmer ihrer Tochter an, obwohl wir zuvor nie Kontakt hatten. Das nenne ich Gastfreundschaft!

Mein Fazit ist, es gibt keine typisch deutschen oder typisch spanischen Verhaltensweisen und es tut vielleicht gut bestimmte Rollen- und Kulturmuster aufzubrechen und zu überdenken. Denn jeder Mensch lebt unterschiedliche Kulturen, die bedingt sind vom persönlichen Umfeld, der Erziehung und eigens gemachten Erfahrungen.

Hier ein kleiner Denkanstoß zum Nachlesen: http://www.stefanie-rathje.de/fileadmin/Downloads/stefanie_rathje_kulturbegriff.pdf

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